Am 17. Juni dieses Jahres brachen drei Alpinistengilde-Mitglieder aus dem Raum Vöcklabruck ins Karakorum in Pakistan auf: Norbert Reizelsdorfer, 33 Jahre, Lehrer, Herbert Kobler, 36 Jahre, Elektrikermeister, und Toni Neudorfer, 35 Jahre, Bergführer. Ihr Ziel war die Erstbesteigung einer einzigartigen, über 6000 m hohen Felsnadel mit dem treffenden Namen The Flame. Im Folgenden berichtet Toni Neudorfer, wie es ihnen dabei ergangen ist. Nach monatelangen Vorbereitungsarbeiten ist es am 17. Juni schließlich so weit: Wir besteigen das Flugzeug nach Islamabad. Endlich geht die lang ersehnte Reise los, mit deren Planung wir seit nunmehr zwei Jahren beschäftigt waren. Der Abschied von unseren Familien fällt uns nicht leicht, denn es ist ein Abschied für zwei Monate und ein Aufbruch ins Ungewisse. Wir wissen nicht genau, was uns erwartet. Unser Ziel, The Flame, ist alpines Neuland und liegt westlich des Baltoro-Gletschers unweit der beeindruckenden Trango-Gruppe. Am Flughafen von Islamabad erwartet uns ein Angestellter der pakistanischen Agentur, der uns zum Hotel nach Rawalpindi fährt. Unser Gepäck, das wir vorausgeschickt haben, ist Gott sei Dank bereits eingetroffen und befindet sich in einem Depot im Hotel. Noch am selben Tag ist ein Briefing beim Ministerium für Tourismus und Sport angesagt. Die nächsten Tage verbringen wir dann - in glühender Hitze - mit weiteren Formalitäten und mit der Kontrolle bzw. dem Verpacken von Lebensmitteln. Auch unser Guide und Koch Abbas ist schon da und geht uns hilfreich zur Hand. Er stammt aus der Gegend, die wir bereisen, und ist - wie wir bald feststellen - sehr gewissenhaft und verlässlich. Und er ist stets bestrebt in unserem Interesse zu handeln, was man vom Agenturleiter selbst nicht behaupten kann. Tage später im Basislager sind seine Kochkünste (Pizza, Kuchen etc.) so bekannt, dass wir manchmal nur mit Mühe einen Platz am Esstisch ergattern. Aber auch als Führer erweist er sich als überaus kompetent. Nach drei Tagen in Rawalpindi fahren wir vier schließlich in Richtung Skardu los. Die Busfahrt dauert zwei Tage und wird vor allem Herbert und Norbert in Erinnerung bleiben - nicht wegen der Schönheit des Karakorum Highways, sondern wegen ihrer anfänglichen Verdauungsprobleme. Von Skardu geht es dann mit Jeeps weiter nach Askole, wo die befahrbare Straße endet. Askole, ein ländliches Dorf, ist der Ausgangspunkt vieler Expeditionen im Karakorum. Von hier bricht man zu den bekannten 8000ern wie K2, Broad Peak oder Gasherbrum I+II auf. Hier heuern wir auch 58 Träger an und machen uns zu Fuß auf den Weg zum Basislager. Am zweiten Tag erreichen wir Paju, die letzte grüne Insel vor dem Baltoro-Gletscher. Doch hier heißt es für Norbert: Endstation. Eine alte Knieverletzung ist unterwegs wieder akut geworden. Die Schmerzen werden so stark, dass er leider gezwungen ist, umzukehren und schließlich nach Hause zu fliegen. Sein Traum endet, noch bevor er den Berg zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. Wir, Herbert, Abbas und ich, setzen nach einem Rasttag den Weg zu unserem Basislager, dem Shipton Basecamp, fort, wo uns vor Begeisterung beinahe der Atem stockt. Die Aussicht ist grandios: Hainablak Tower, Cat's Ear Spire, Shipton Spire und hinten am Horizont unser Ziel, The Flame. Der Platz, an dem wir das Basislager errichten, ist wirklich idyllisch: eine saftige, grüne Wiese, eine Unzahl blühender Blumen und ein kleiner Bach. Zudem scheint die Sonne. Es ist angenehm warm hier auf 4200 m und wir hoffen inständig, dass das Wetter so bleibt. Es ist unser dreizehnter Tag in Pakistan. Die nächsten Tage sind weniger erholsam. Langsam akklimatisieren wir uns, indem wir im spaltenreichen Gletscher einen gangbaren Zustieg suchen und Depots anlegen (Wir überlegen, ob wir unser Projekt nicht von Extremklettern 2001 auf Extremschleppen 2001 umbenennen sollen.). Einen sicheren Weg durch das Spaltenlabyrinth zu finden ist eines unserer größten Probleme. Aufgrund der Bilder, die wir zur Vorbereitung hatten, wissen wir, dass uns zwei Eisbrüche erwarten, doch die bereiten uns letzten Endes die geringsten Schwierigkeiten. Die Passagen dazwischen und danach sind bei weitem gefährlicher und sie zu überwinden erfordert enorm viel Zeit. Eine Passage müssen wir förmlich über einen anderen Berg umgehen, da ein Queren des verschneiten Gletschers mit seinen versteckten Spalten purer Selbstmord wäre. Das letzte Gletscherplateau schließlich, das am Wandfuß der Flame endet, müssen wir wegen der verschneiten Spalten sogar in der Nacht überqueren, denn da ist der Schnee gefroren und somit am tragfähigsten. Endlich, zwanzig Tage nach unserer Ankunft im Basislager, steigen wir in die Ost-Wand der Flame ein. Zur Begrüßung prasseln Gesteins- und Eisbrocken auf uns nieder. Nicht nur einmal verfehlt uns eines dieser Geschosse nur knapp. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in überhängendem und dadurch sicherem Gelände zu klettern. Die Ausrüstung, die wir nicht direkt zum Klettern benötigen, verstauen wir in einem Rucksack und in einem Haulbag, den wir nachziehen - ein sehr zeitaufwändiges und Kräfte raubendes Unterfangen. Der Höhengewinn bei dieser Art zu klettern ist nicht gerade berauschend. Nach drei gekletterten Seillängen (6+/ A2) finden wir gegen Abend einen sicheren Biwakplatz. Auch am nächsten Tag kommen wir nur schleppend voran. Die Ausbeute des Tages: wieder nur drei Seillängen im selben Schwierigkeitsgrad wie am Vortag. Da uns klar ist, dass das Wetter nicht ewig schön bleiben wird, entschließen wir uns die Taktik zu ändern. Wir setzen auf "leicht und schnell", wie wir es schon des öfteren erfolgreich praktiziert haben. Unser "Gepäck" besteht nun aus einem Activsport-Schlafsack, einem Zweimannbiwaksack, Stirnlampen, Reservesocken und -handschuhe, ein Paar Powerbar-Müsliriegel und drei Liter Flüssigkeit. Geklettert wird mit den Kletterschuhen. Diese Taktik scheint sich zu bewähren, denn wir schaffen an diesem Tag sechs Seillängen. Die Schwierigkeiten, die uns zu schaffen machen, sind nicht klettertechnischer Natur (6/A1), es sind vielmehr die Rahmenbedingungen: nicht gefrorene Wasserfälle und teilweise extrem brüchiger Fels. Gegen Nachmittag kommt schließlich der befürchtete Wetterumschwung und es beginnt zu schneien. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit beziehen wir unseren Biwakplatz, der sich nicht gerade durch Größe auszeichnet - gerade mal 1m² und die letzte Sicherung ist fünf Meter entfernt. Zusammengekauert verbringen wir die Nacht. Der nächste Tag beginnt, wie der letzte endete: mit Schneefall und denkbar schlechter Sicht. Diese Wetterverhältnisse bestimmen den gesamten Tag. Doch nicht nur der Schnee, auch brüchiger Fels verhindert ein rasches Weiterkommen. Drei weitere Seillängen im sechsten Schwierigkeitsgrad sind die Ausbeute des Tages, nicht gerade viel. Zum Trost ist der Biwakplatz etwas komfortabler als jener der vorangegangenen Nacht. Am darauffolgenden Tag schaffen wir nur noch zwei Seillängen (Schwierigkeit bis 7), das ist aber auch schon alles. Die Zehen schmerzen extrem vor Kälte, die Zunge klebt ausgetrocknet am Gaumen. Gott sei Dank ist der nächste Biwakplatz groß und relativ eben - man könnte ihn geradezu als luxuriös bezeichnen - denn er sollte für die nächsten zwei Tage unser "Zuhause" werden. In einem Schlafsack zusammengekauert warten wir darauf, dass sich das Wetter bessert. Die Flüssigkeitszufuhr stellt mittlerweile auch ein großes Problem dar. Während der letzten vier Tage haben wir gemeinsam gerade mal vier Liter getrunken. Wasser gibt es in dieser Höhe, knapp unter 6000 m, keines mehr, nur Eis und Schnee, das dafür aber in Mengen. Wir stopfen Schnee in unsere Softdrinkflaschen und wärmen sie am Körper. Nach fünf Stunden haben wir einen halben Liter Wasser und einen kalten Bauch. Als am nächsten Tag noch immer keine Wetterbesserung in Sicht ist, entscheiden wir uns schließlich für den Rückzug. Noch längeres Warten könnte fatale Folgen haben. Doch auch das Abseilen ist kein Spaziergang. Wir fürchten, dass die Seile beim Abseilen einfrieren. Außerdem können wir auf keinen Fall die Aufstiegsroute hinunter, zu viele Querungen und Überhänge versperren uns den Weg. Nach einigem Suchen ist doch eine Abseilmöglichkeit gefunden, die hoffentlich nicht in einer Sackgasse endet. Abseilen in unbekanntes Gelände ist immer ein Risiko. Unsere Erfahrung aber hilft uns die richtige Entscheidung zu treffen und so erreichen wir nach sechs Stunden erschöpft unser Materialdepot, bei dem wir einen Teil unserer Ausrüstung zurückgelassen haben. Jetzt liegt das Ärgste hinter uns, nur unsere Zehen bereiten uns noch große Sorgen. Sie sind schon seit längerem alarmierend gefühl- und schmerzlos. Nach weiteren drei Stunden des Abseilens und einem ärgerlichen Zwischenfall - ein Haulbag platzt und die Ausrüstung ist über den Gletscher verstreut - erreichen wir unser Zelt. Zwei Tage verbringen wir hier am Wandfuß - in erster Linie mit Trinken, Essen und Zehenmassieren. Obwohl wir nach wie vor um unsere Zehen besorgt sind, denken wir an einen zweiten Versuch. Erst nach zwei Tagen geben wir den Gipfel endgültig auf, zu schlecht sind die Voraussetzungen. Die Zehen brauchen wahrscheinlich noch Wochen, bis sie sich erholt haben, und das Eis braucht einige sonnige Tage um aus der Wand zu schmelzen. Da keine Wetterbesserung in Sicht ist, schleppen wir also die Ausrüstung (ca. 100 kg) wieder zurück Richtung Basislager. Um nur einmal das gefährliche Gletscherplateau queren zu müssen, trägt jeder von uns einen riesigen Rucksack und wir ziehen wie Schlittenhunde einen Haulbag hinter uns her. Noch zwei weitere Nächte verbringen wir am Gletscher, ehe wir in die Hände des uns entgegengekommenen Abbas fallen. Er hat sich ziemliche Sorgen gemacht und unsere Nachbarinnen um Rat gefragt. Sie beruhigten ihn und meinten: "Herbert und Toni haben ein Zelt, einen Kocher und genügend zu essen mit. Am Berg kannst du ihnen auch nicht helfen. Außerdem sind sie Kletterer und wissen schon, was sie tun." Sie hatten Recht und wir auch ein wenig Glück.